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Kooperationen Staat-Wirtschaft

Umwelt- und Klimapakt-Arbeitsgruppe "Klimaneutralität und Ausgleichsmechanismen - Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für Unternehmen"

Bayern soll bis spätestens 2040 klimaneutral werden und bis 2030 im Vergleich zu 1990 65 % CO2 je Einwohner einsparen. Die bayerische Wirtschaft unterstützt diese Ziele und viele Unternehmen befassen sich mit konkreten Maßnahmen, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern. Doch welche Maßnahmen tragen effektiv zu dieser Zielsetzung bei und wie können diese kommuniziert werden? Durch den Austausch innerhalb der AG und im Dialog mit Experten haben sich die Mitglieder im Zeitraum Frühjahr 2021 bis Herbst 2022 mit diesen Fragestellungen auseinandergesetzt und ihre Erkenntnisse und wichtige Schlussfolgerungen hier dokumentiert.

Einführung in die Thematik / Begrifflichkeiten

Bilanzierung, Minderung und Neutralstellung von Treibhausgasemissionen

Unternehmen, die sich damit auseinandersetzen, wie sie möglichst klimafreundlich wirtschaften können bzw. eines Tages jegliche Netto-Emissionen vermeiden können, nehmen i.d.R. eine Bestandsaufnahme oder „Bilanzierung“ der mit ihrem Geschäftsbetrieb verbundenen Treibhausgasemissionen (THG) vor. Wichtig ist in diesem Schritt, die Emissionen entlang etablierter Standards zu bilanzieren. Dies erhöht die Transparenz sowohl für die eigene Maßnahmenplanung als auch im Hinblick auf die Akzeptanz der Minderungsbemühungen durch interne und externe Stakeholder

Infobox 1: Das GHG Protocol

Das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol) ist ein international anerkannter Standard zur Treibhausgasbilanzierung. THG-Emissionen werden darin in drei Entstehungsbereiche eingeteilt, die sog. „Scopes“:

  • Scope 1: Direkte Emissionen, die aus Aktivitäten des Unternehmens vor Ort resultieren (z.B. Öl-/Gasverbrauch)
  • Scope 2: Indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie (z.B. Strom, Wärme, Kälte)
  • Scope 3: Andere indirekte Emissionen, die durch die Aktivitäten eines Unternehmens in seiner Wertschöpfungskette entstehen. Scope 3-Emissionen sind kein verpflichtender Bestandteil der Bilanzierung nach dem GHG Protocol, sie finden jedoch im Sinne einer umfassenden Bilanz immer häufiger Berücksichtigung, insbesondere, wenn sie einen wesentlichen Anteil an der Gesamtbilanz haben.

weiterführende Informationen in den IZU-Handlungshilfen zum betrieblichen Klimaschutz – Klimabilanz und Strategie - IZU (bayern.de) (siehe 5. Schlussfolgerungen/ Empfehlungen)

Nach Ermittlung der Emissionen können nun Maßnahmen (Minderung vor Ausgleich!) konzipiert werden, die das Unternehmen auf den Pfad zur Klimaneutralität bringen.

Wichtig ist die Feststellung, dass der Begriff „Klimaneutralität“ nicht näher definiert ist. Für die Diskussion maßgeblich ist daher vorrangig das Übereinkommen von Paris (ÜvP, 2016), in welchem sich die Vertragsstaaten und darunter auch Deutschland verpflichtet haben, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht mehr klimaschädliche Gase auszustoßen, als der Atmosphäre durch sogenannte Kohlenstoffsenken, also etwa Wälder, entzogen werden (Artikel 4). Dieser Zustand kann nur erreicht werden, wenn weltweit schnell und konsequent deutlich weniger Kohlenstoff freigesetzt wird ("Dekarbonisierung").Beim Erreichen dieser Netto-Treibhausgasneutralität haben Staaten und – abhängig von den innerstaatlichen Regelungen – auch Akteure wie Bundesländer, Unternehmen und Kommunen Handlungsspielräume für den Ausgleich von THG-Emissionen außerhalb ihres eigenen „Bilanzkreises“. Ein Ausgleich von nach Umsetzung von Minderungsmaßnahmen im eigenen Wirkungskreis unvermeidbaren Emissionen kann somit auch außerhalb des eigenen Unternehmens oder Territoriums stattfinden, wobei die Emissionsminderungen „bilanziell“ in der eigenen THG-Bilanz verrechnet werden.

Ursprünglich als Motivator für CO2-Reduktionsmaßnahmen durch Unternehmen, Kommunen und Bundesländer sehr hilfreich, wird der Begriff „klimaneutral“ zwischenzeitlich v.a. seitens der Unternehmen zurückhaltender verwendet. Ein Grund ist Kritik, die im Zusammenhang mit Klimaneutralitäts-Claims verschiedentlich geäußert wird:

  • In manchen Fällen erfolge nur eine unzureichende Bilanzierung, da Scope-3-Emissionen (siehe Infobox 1) unberücksichtigt blieben.
  • Unzureichende Maßnahmen: Veröffentlichte Klimaschutzmaßnahmen (z.B. in Form eines Nachhaltigkeitsberichts oder einer Umwelterklärung) ließen es unwahrscheinlich erscheinen, dass Klimaneutralität erreicht wird.
  • i.V.m. den oben genannten kritischen Stimmen: Kompensation von Emissionen ohne ausreichende Ambitionen bei der Reduktion und Minderung sowie der Erfassung der wesentlichen Emissionen.

Der Begriff ist somit auch wettbewerbsrechtlich nicht unstrittig und war zuletzt Gegenstand von Abmahnungen und Gerichtsverfahren. In mehreren bereits entschiedenen Verfahren sind Gerichte zu der Auffassung gelangt, dass der Begriff im Zusammenhang mit Produkten nicht pauschal nach dem Erwerb von Kompensationszertifikaten verwendet werden darf.

Infobox 2: Von Unternehmen genutzte Standards für Klimaneutralität

In den vergangenen Jahren haben sich mehrere Standards etabliert. Zu nennen sind insbesondere der PAS 2020, zum ersten Mal im Jahr 2010 von der British Standards Institution (BSI) veröffentlicht. Der Net-Zero-Standard der Sciene Based Targets Initiative (SBTi) stellt klar, dass rasche Maßnahmen zur Halbierung der Emissionen vor 2030 und langfristige, tiefgreifende Emissionssenkungen von 90-95% vor 2050 entscheidend sind, damit die Netto-Null-Ziele mit der Wissenschaft übereinstimmen. Um mit dem SBTi eine Netto-Nullbilanz zu erreichen, müssen die Emissionen, die nach Auffassung der SBTi nicht reduziert werden können – die „letzten 5-10 %“ – durch Kohlenstoffabbau neutralisiert werden (vgl. https://sciencebasedtargets.org)

weiterführende Informationen in den IZU-Handlungshilfen zum betrieblichen Klimaschutz – Klimabilanz und Strategie (siehe 5. Schlussfolgerungen/Empfehlungen)

Bislang gibt es in der EU weder einen gesetzlich definierten Standard für die Ermittlung und Bilanzierung der Treibhausgasemissionen von Produkten oder Prozessen noch eine Klarstellung, welche Claims im Zusammenhang mit Umweltwirkungen zulässig sind.

Im März 2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag über eine Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen (COM(2022) 143) vorgelegt. Dieser Richtlinienentwurf zielt insbesondere auch darauf ab, „Greenwashing und frühzeitiger Obsoleszenz“ entgegenzuwirken, so die Kommission. Diese dürfte auch im Hinblick auf Angaben zu Treibhausgasemissionen zu einer höheren Qualität und Verlässlichkeit führen.

In der AG behandelte Ansätze für Klimaneutralität und Ausgleichsmaßnahmen

1. Vermeidung und Minderung von THG-Emissionen im eigenen Bilanzkreis

Vorrangige Aufgabe jeder Organisation auf ihrem Pfad zur Klimaneutralität ist es, THG-Emissionen - wo möglich und wirtschaftlich abbildbar - zu vermeiden bzw. zu vermindern. Dies betrifft in erster Linie den eigenen Bilanzkreis, vor allem die direkt selbst verursachten energiebedingten THG-Emissionen, die unter Scope 1 und Scope 2 erfasst werden. Je nach Tätigkeitsfeld sind jedoch auch die indirekten Emissionen von Scope 3 als wesentlich anzusehen.
Projekte zum Ausgleich von THG-Emissionen außerhalb des eigenen Bilanzkreises sollten insbesondere unvermeidbaren Emissionen, bspw. aus schwer abänderbaren Produktionsprozessen, oder bei extrem hohen spezifischen Vermeidungskosten vorbehalten bleiben.
Unternehmen können sich bei der Priorisierung ihrer Klimaschutzaktivitäten u.a. an Standards wie PAS 2020 der British Standards Institution (BSI) oder dem Net-Zero-Standard der Sciene Based Targets initiative (SBTi) orientieren (siehe Infobox 2).

Beispiel Hörl & Hartmann, Ziegelhersteller und Mitwirkender in der AG

Das Unternehmen mit Sitz in Dachau hat sich - wie der Kaufmännische Leiter, Dominik Gerber, erläuterte - der Dekarbonisierung der Herstellungsprozesse verschrieben: „Seit 2012 setzt sich Hörl & Hartmann dafür ein, die CO2-Emissionen im Herstellprozess zu reduzieren. So ist es gelungen, durch unternehmenseigene Photovoltaik-Anlagen sowie einer eigenen Windkraftanlage den Strombedarf am Standort Dachau zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu decken. Um nun auch noch die brennstoffbedingten Emissionen weitestgehend zu vermeiden, werden wir 2023 eine Synthesegasanlage der Firma blueFLUX in unseren Produktionsprozess integrieren. Mit diesem Forschungs- und Demonstrationsvorhaben zeigen wir, dass es möglich ist, ein grünes Substitut für fossile Brennstoffe dezentral selbst herzustellen. Wir werden dadurch unseren Erdgasverbrauch im ersten Schritt um ca. 80 % senken. Mittelfristig ist es unser Ziel, komplett vom Erdgas und anderen fossilen Energieträgern wegzukommen, um sich in Zukunft auf die prozessbedingten Emissionen und deren Vermeidung konzentrieren zu können.“

Foto: Für die Synthesegas-Produktion werden biogene Rohstoffe aus der Region genutzt. Mit dem erzeugten grünen Gas können die hauseigenen Tunnelöfen in Dachau künftig nahezu klimaneutral betrieben werden; Hörl & Hartmann Ziegeltechnik GmbH & Co. KG

Das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (StMWi) unterstützt das Projekt mit Fördermitteln.

Einsatz von klimaneutraler Energie im Unternehmen

Eine Möglichkeit, um Emissionen im eigenen Unternehmen zu reduzieren, ist der Bezug von klimaneutralen Energien – gemeinhin wird häufig von „Grünstrom“, grünem Gas“ oder „grüner Wärme“ gesprochen. Die Qualität von grüner Energie variiert sehr stark.

Sebastian Bolay, Bereichsleiter Energie, Umwelt, Industrie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), gibt hierzu entsprechende Hinweise: „Zunächst sollte ein Unternehmen immer überlegen, was auf dem eigenen Betriebsgelände möglich ist. Bis zu welchem Grad ist beispielsweise eine Eigenversorgung mit grünem Strom durch PV-Module auf Hallendächern möglich? Die wenigsten Unternehmen werden in der Lage sein, sich vollständig selbst auf ihrem Betriebsgelände zu versorgen.“
Der grüne Fremdstrombezug über sogenannte Herkunftsnachweise sei deshalb ebenfalls ein wichtiges Thema. Herkunftsnachweise garantierten, dass es sich um Ökostrom handelt. Sie könnten sowohl zusätzlich zur Strombeschaffung erworben oder direkt mit bestehenden Lieferverträgen verknüpft werden. „Neu ist, dass es jetzt immer mehr deutsche Herkunftsnachweise gibt, weil ältere Anlagen nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung fallen“, erklärt der DIHK-Experte. Da immer mehr Anlagen, vor allem PV-Freiflächenanlagen, ohne Förderung gebaut werden, können Unternehmen, gegebenenfalls über einen Dienstleister, direkte Lieferbeziehungen mit bestimmten Anlagen, sogenannte Power Purchase Agreements (PPA) eingehen, so Dr. Bolay. Ein PPA sei somit eine gute Möglichkeit, vermehrt regionalen Grünstrom zu beziehen, da geförderte Anlagen bisher in Deutschland keine Herkunftsnachweise vom hierfür zuständigen Umweltbundesamt erhielten.

In einem Leitfaden „Beschaffungsstrategie für grünen Strom“ der Deutschen Energie-Agentur (dena), der ausführliche Informationen hierzu enthält, heißt es auf Seite 13: „(…) aus diesem Grund stammen die in Deutschland entwerteten Herkunftsnachweise größtenteils aus Norwegen und lange bestehenden deutschen Wasserkraftwerken. Kritiker beanstanden hierbei die mangelnde Zusätzlichkeit, da der Bezug solcher Herkunftsnachweise weder die Energiewende im eigenen Land, die Refinanzierung noch den weiteren Ausbau von neuen Erneuerbare-Energien-Anlagen vorantreibt.“

Das Kriterium der Zusätzlichkeit ist auch im Regelwerk der internationalen und nationalen Klimaschutzpolitik verwurzelt, seine Berücksichtigung daher für die Glaubwürdigkeit eigener Anstrengungen um Klimaneutralität wesentlich. Um die Zusätzlichkeit einer Energielieferung zu überprüfen, empfiehlt sich daher eine sorgfältige Befassung mit dem jeweiligen HKN.“

2. Ausgleich von Emissionen durch Maßnahmen im Inland

Klimaschutzprojekte mit dem Ziel, betriebliche THG-Emissionen durch emissionsmindernde Aktivitäten im Umfeld des eigenen Unternehmens auszugleichen, stoßen bei immer mehr Unternehmen auf Interesse. Ausgleichsprojekte in der Region profitieren von einem hohen Vertrauensvorschuss und lassen sich vom Unternehmen durch regelmäßige Besuche auf ihren Umsetzungsstand und Minderungserfolg hin gut monitoren.

Insbesondere aus formalen Gründen werden Ausgleichsprojekte im Inland von der Bundesregierung i.d.R. jedoch kritisch gesehen. Da es in Deutschland zur Erreichung der Klimaneutralität ohnehin vorgesehen sei, alle erdenklichen Möglichkeiten zur THG-Reduzierung bis zum Jahr 2045 auszuschöpfen und Minderungen daher unmittelbar bereits auf die deutsche THG-Bilanz angerechnet werden, sieht die Bundesregierung hier Risiken einer Doppelanrechnung von Minderungsleistungen. Speziell im Bereich der Landnutzung und Landnutzungsänderung (sog. LULUCF) bestehe angesichts z.T. sehr langer Projektlaufzeiten von Maßnahmen auch die Gefahr, dass die Maßnahmen aufgrund neuer gesetzlicher Vorgaben und der nach dem ÜvP geforderten Ambitionssteigerung zum Klimaschutz vorzeitig ihre Zusätzlichkeit verlieren könnten.

Die enge Auslegung der Möglichkeiten des Übereinkommens von Paris (ÜvP) trifft jedoch zunehmend auf Widerstand, da sie ein Hindernis für frühe und freiwillige Maßnahmen von privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren darstellen kann. Insbesondere wird argumentiert, dass die (freiwillige) Bilanzierung der Emissionen und Ausgleichmaßnahmen durch ein Unternehmen nicht in direkter Verbindung steht mit der Inventarisierung der territorialen Emissionen der Vertragspartei Deutschland. Unterstützt ein produzierendes Unternehmen bspw. die klimagerechte Wiedervernässung eines Moors, reduzieren die hieraus resultierenden freiwilligen Emissionsminderungen nicht die Verpflichtungen des Unternehmens (bzw. seiner Energieversorger) im Europäischen Emissionshandel oder nach dem nationalen Brennstoffemissionshandelsgesetz. Eine Doppelanrechnung von Emissionsreduzierungen gegenüber den internationalen Verpflichtungen Deutschlands liegt in einem solchen Fall nach der Auffassung der Befürworter dieser „Getrennten Bilanzierung“-Argumentationslinie somit nicht vor.

Unternehmen ist aufgrund der beschriebenen Kontroverse zu empfehlen, in Abstimmung mit einem erfahrenen Anbieter von Ausgleichsmaßnahmen bzw. Zertifikate zu prüfen, welche Maßnahmen den gebotenen hohen Qualitätsanforderungen entsprechen und insbesondere das Kriterium der Zusätzlichkeit erfüllen. Dieses Kriterium bedeutet, dass die Maßnahmen ohne die Unterstützung durch das den Ausgleich suchende Unternehmen nicht finanziert bzw. realisiert werden könnte. „Zusätzlichkeit“ gewährleistet somit, zusätzlichen Klimaschutz, der über aktuelle rechtliche Vorgaben und Fördermöglichkeiten hinausgeht. Eine Möglichkeit, den Diskussionen aus dem Weg zu gehen, ist die sog. Doppelkompensation: Hierbei werden regionale Klimaschutzprojekte durch den Erwerb von Emissionszertifikaten aus internationalen und durch die Regelungen des ÜvP abgesicherten Projekten ergänzt. Eine weitere Alternative ist der Verzicht auf den Begriff Klimaneutralität. Unternehmen kommunizieren in ihrer Berichterstattung die „Förderung von Klimaschutzmaßnahmen“ oder „Klimaschutzfinanzierung“ (sog. „Contribution Claims“) und verzichten auf kontrovers diskutierte Begriffe wie „Kompensation“ oder „Klimaneutralität“. Durch den damit einhergehenden Verzicht auf eine nachgewiesene Zusätzlichkeit der Maßnahmen können Greenwashing-Vorwürfe leichter ausgeräumt und ggf. weitere Projektarten ermöglicht 6 werden. Der Aufwand für Nachweise und Zertifizierungen lässt sich hierdurch unter Umständen verringern. Eine Treibhausgasneutralität im Wortsinn oder im Rahmen zukünftiger Nachweispflichten (CSR, Sustainable Finance) ist damit jedoch nicht erreichbar. Eine Variante davon ist auch die Idee eines internen CO2-Preises („CO2-Schattenpreis“), welcher pro emittierter Tonne Treibhausgase die Investition zusätzlicher Mittel in vorher festgelegter Höhe für Klimaschutzmaßnahmen vorsieht.

Infobox 3: Anforderungen an Kompensationsprojekte

  1. Zusätzlichkeit: Die Kompensationsprojekte müssen über die gängige Praxis und gesetzliche Vorgaben hinausgehen. Einnahmen aus den Kompensationszahlungen müssen die Haupteinnahmequelle sein (Vulnerabilität). Der Berechnung der Treibhausgasbindung oder – einsparung muss ein realistisches Referenzszenario entgegengesetzt werden (Baseline).
  2. Permanenz: Die Emissionseinsparung muss dauerhaft sein. Bindungsprozesse dürfen nicht reversibel sein, ggf. ist ein Puffer zur Abfederung von Unsicherheiten zu bilden. Die Verlagerung von Emissionen in andere geographische oder organisatorische Strukturen muss verhindert werden (Leakage).
  3. Berechnung, Monitoring und Verifizierung von Emissionen: Durch einheitliche Standards und Regelwerke müssen Projektunsicherheiten reduziert werden. Die Einsparung oder Bindung von Treibhausgasen muss mess-, kontrollier- und nachvollziehbar sein.
  4. Transparenz und Regelwerk: Die Regelwerke und Standards müssen unabhängig überprüft werden. Korruption und Willkür muss auf allen Ebenen verhindert werden. Es sollten nur Zertifikate verwendet werden, bei denen die Einsparungen oder Bindungsprozesse bereits eingetreten sind (ex-post).
  5. Alle Arten von Doppelzählungen und Doppelanrechnung müssen vermieden werden. Dies muss über ein sicheres und nachprüfbares Register erfolgen. Einsparungen und Bindungsprozesse dürfen nicht doppelt vermarktet werden. Idealerweise wird auch die Doppelanrechnung mit den Klimaschutzzielen des Gastlandes nach dem Übereinkommen von Paris adressiert und ausgeschlossen (z.B. durch sogenannte „Corresponding adjustments“)
  6. Gute Projekte sorgen auch für einen gesellschaftlichen Zusatznutzen („Co-Benefits“), indem sie die nachhaltige Entwicklung in dem Land fördern, in dem das Projekt stattfindet. Dies können bspw. Beiträge sein zum Gesundheitsschutz, zum Erhalt der Biodiversität oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Co-Benefits werden häufig als Beitrag zu den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen ausgewiesen.

3. Ausgleich von Emissionen durch Maßnahmen in anderen Staaten

Mit dem ÜvP sind die aus dem Kyoto-Protokoll bekannten Klimaschutzinstrumente weitgehend abgelöst worden. Weitgehend meint, dass in einer Übergangsphase noch Zertifikate aus bestehenden Projekten des UN-Regelwerks CDM (Clean Development Mechanism) genutzt werden können und daher auf den freiwilligen Kohlenstoffmärkten auch angeboten werden. Die Zukunft gehört aber Kooperationsmechanismen gemäß Art. 6 des ÜvP. Das ÜvP legt eine Reihe von Prinzipien fest, die gelten, wenn Staaten Kooperationsmechanismen für die Umsetzung ihrer Klimaschutzziele nutzen:

  • Die Nutzung der Kooperationsmechanismen soll zur Steigerung der Ambition genutzt werden und so dazu beitragen, die Bemühungen in Sachen Klimaschutz (mitigation) oder Klimaanpassung (adaptation) zu verstärken.
  • Die Kooperationsmechanismen sollen dazu beitragen, nachhaltige Entwicklung zu fördern. Zwar steht die Vermeidung von Treibhausgasemissionen im Mittelpunkt, andere Nachhaltigkeitsdimensionen müssen aber ebenfalls adressiert werden.
  • Die Kooperationsmechanismen müssen die Umweltintegrität fördern. Das bedeutet, dass die Mechanismen nicht genutzt werden dürfen, um ambitionierten Klimaschutz in den beteiligten Ländern zu umgehen, was zu einer Aushöhlung ihrer Klimaschutzziele führen würde.

Auf der COP 26 (Conference of the Parties, Weltklimakonferenz) im schottischen Glasgow wurden im Herbst 2021 Entscheidungen über die Umsetzung von Art. 6 des ÜvP getroffen, auf deren Basis die Akteure auf den Kohlenstoffmärkten tätig werden können. Mit den Entscheidungen wurde auch versucht, Kritik an der Integrität der Kohlenstoffmärkte im Hinblick auf die tatsächlichen Reduktionseffekte in den Gastländern zu begegnen. Dies führte letztlich zu einer Unterscheidung in von den Regierungen der Gastländer autorisierte und nicht autorisierte Credits, wobei ersteren eine höhere Güte zugesprochen wird. Bspw. dürfen nur autorisierte Credits eingesetzt werden, um die Verpflichtungen gemäß den Klimaschutzzielen der Vertragsstaaten (National Determined Contributions – NDCs) zu erfüllen. Die in den Klimakonferenzen von 2021 (COP 26 in Glasgow) und 2022 (COP 27 in Sharm el Sheikh) festgelegten Regeln für das CDM-Nachfolgeregelwerk gemäß Art. 6.2 und 6.4 des Weltklimaabkommens haben auch Auswirkungen auf den freiwilligen Markt für handelbare CO2-Zertifikate. Hierbei ist insbesondere für solche Unternehmen, die einen CO2-Neutralitäts-Claim anstreben, von Bedeutung, Doppelzählungen zu vermeiden. Dieses „Double Counting“ (oder vielmehr: „Double Claiming“) kann durch den Einkauf von Zertifikaten mit Corresponding Adjustments (CAs) vermieden werden. Daniela Feuchtmayr, Senior Manager Corporate Sustainability Strategy der BMW Group, betont: „Ein Zertifikat mit CAs sichert dem Zertifikatskäufer, der sich CO2-Ersparnisse aus einem Projekt innerhalb seines bilanziellen CO2- Neutralitätsclaim nach dem ÜvP zugutehalten möchte, zu, dass nicht dieselben CO2-Ersparnisse bereits durch das Gastland z.B. auf dessen NDC angerechnet und damit entwertet wurden.“ Voraussetzung ist z.B. das Vorhandensein eines CO2-Registers im Gastland, das Transparenz über alle CO2- Minderungs – und Neutralisierungsprojekte schafft, und festhält, welche auf das NDC angerechnet werden und welche davon ausgenommen sind. Es wird derzeit davon ausgegangen, dass ca. ab 2024 die ersten Zertifikate des neuen Regelwerks auf den Markt kommen, welche über ein CA zwischen Projektpartnern und Gastland verfügen. Bestehende Projekte sollen rückwirkend in das neue Regelwerk überführt werden können, wenn diese die Kriterien erfüllen. Aktuelle Informationen und wertvolle Hinweise zu Ausgleichsmaßnahmen im Ausland stellt die Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima bereit.

4. Abscheidung von Treibhausgasemissionen

Zunächst ist zwischen der Abscheidung von (i. W. fossilen) Treibhausgas-Emissionen aus energietechnischen bzw. industriellen Prozessen auf der einen und der Abscheidung aus der Atmosphäre auf der anderen Seite zu unterschieden.

Das 2021 beschlossene Europäische Klimagesetz schreibt vor, dass alle in Europa verbleibenden Treibhausgas-Emissionen bis 2050 durch „Carbon Removals“ – der Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre – ausgeglichen werden müssen mit dem Ziel, „danach negative Emissionen zu erreichen“. Die Abscheidung aus der Atmosphäre wird als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen, für die es 8 innerhalb der EU Anreize geben soll (vgl. hierzu auch Vorschlag der EU-Kommission für einen ersten EUweiten freiwilligen Rahmen zur zuverlässigen Zertifizierung hochwertiger CO2-Entnahmen v. 30.11.2022).

Es kann hierbei zwischen naturbasierten Lösungen wie dem Erhalt von Moorökosystemen, der Wiederbewaldung oder der Erhöhung von Humusgehalten im Boden sowie technischen Lösungen unterschieden werden. Bei Letzteren müssen Removals entweder sicher geologisch gespeichert (Carbon Capture and Storage – CCS) oder langfristig in Produkten gebunden (Carbon Capture and Utilization - CCU) werden.

Im Kontext der Klimaneutralität von Unternehmen wird überwiegend die Abscheidung von CO2 aus energietechnischen und industriellen Prozessen diskutiert. Neben technischen Herausforderungen gibt es hier derzeit erhebliche wirtschaftliche und formale Hürden, Letzteres insbesondere bei Verfahren für die Abscheidung und Nutzung des abgeschiedenen CO2. Für Emittenten, die dem EU Emissionshandel (ETS) unterliegen, wäre CCS bzw. CCU insbesondere dann interessant, wenn ein Erwerb bzw. die Stilllegung von Emissionsrechten im ETS reduziert werden und somit zweifache Kosten vermieden werden können. Rechtsgrundlagen sind die EU- RL 2003/87/EG, die VO (EU) 2018/2066 und das bundesdeutsche TEHG. Gemäß diesen Regularien sind derzeit auch für Emissionen aus energietechnischen und industriellen Prozessen, die einem CCU-Verfahren zugeführt werden, i.d.R. Emissionsrechte nachzuweisen. Eine Ausnahme sind bestimmte Verfahren, bei denen CO2 sicher und dauerhaft nicht in die Atmosphäre gelangt (vgl. Urteil EuGH Schaefer Kalk (Rs. C-460/15).

5. Schlussfolgerungen / Empfehlungen

Die bayerische Wirtschaft ist sich der Relevanz des Klimaschutzes bewusst (Energiewendebarometer Bayern, BIHK 2012-2022). Eine wachsende Anzahl von Unternehmen verfolgt im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Ziel, treibhausgasneutral zu wirtschaften. Priorität haben dabei Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen in den Betrieben selbst. Allerdings lässt sich dies nicht immer wirtschaftlich darstellen und ist zudem auch technisch noch nicht überall möglich. Der Ausgleich von Emissionen durch Maßnahmen außerhalb der Betriebe ist daher sowohl wirtschaftlich als auch mit Blick auf den Klimaschutz selbst eine ernst zu nehmende Alternative. Unternehmen, die Emissionen in ihren Betrieben auf freiwilliger Basis durch externe Maßnahmen ausgleichen, sehen sich jedoch häufig dem Verdacht des „Green Washing“ ausgesetzt. Die Zusätzlichkeit oder die Kontrolle der Wirksamkeit werden zum Teil in der Öffentlichkeit angezweifelt, das zweifelsfreie Ausschließen einer Mehrfachanrechnung von Zertifikaten wird erwartet.

Einen gesetzlichen Rahmen für oder eine staatliche Anerkennung von freiwilligen Ausgleichsmaßnahmen durch Unternehmen gibt es bislang in der EU nicht. Die Arbeit der AG hat gezeigt, dass aufgrund komplexer Zusammenhänge und nicht standardisierter Begrifflichkeiten (wie insbes. „klimaneutral“) die selbstständige Befassung mit CO2-Ausgleichszertifikaten herausfordernd ist. Besonders kleinen Unternehmen und „Einsteigern“, die über keine Nachhaltigkeitsexperten bzw. entsprechende Abteilungen verfügen, stellen sich viele Fragen bei den Bemühungen, ihren Beitrag zur Erreichung der staatlichen Zielsetzung der Klimaneutralität zu leisten. Meist besteht hier der Wunsch, transparent und rechtlich abgesichert sowie bestenfalls über Projekte des regionalen Klimaschutzes, eigene nicht vermeidbare Emissionen auszugleichen. Für sie soll dieses, von der temporären Arbeitsgruppe Klimaneutralität und Ausgleichsmaßnahmen im Umwelt- und Klimapakt Bayern vorgelegte, Papier „Erkenntnisse und Schlussfolgerungen“ eine erste Orientierung geben.

Um das Ziel der Klimaneutralität in der Praxis zu erreichen, erscheint es zwingend erforderlich, eine Treibhausgas-Emissionsbilanz für die Organisation bzw. für das Unternehmen zu erstellen, alle sinnvollen Möglichkeiten zur Energieeinsparung, -Effizienzsteigerung und zum Einsatz erneuerbarer Energien zu nutzen und darüber hinaus mögliche Ausgleichsmechanismen zu prüfen und ggf. zu nutzen. Betriebliche 9 Managementsysteme für Umwelt- und Klimaschutz (wie z.B. EMAS oder ISO 14001) sowie für eine zukunftsfähige Energie-Performance (z.B. nach ISO 50001 oder Energieaudits nach EN 16247) sind in der Regel eine gute Ausgangsbasis dafür, den Weg hin zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess erfolgreich zu gehen. Ein sinnvoll gestaltetes Kennzahlensystem hilft bei der Steuerung und Überwachung. Beim Einstieg auf dem Weg zum klimafreundlichen Betrieb helfen Materialien wie der BIHK-Leitfaden EMAS Umweltmanagementsystem oder die Handlungshilfen zum betrieblichen Klimaschutz – Klimabilanz und Strategie des Infozentrums UmweltWirtschaft (IZU) am Bayerischen Landesamt für Umwelt.

Unternehmen, insbesondere KMU, kann empfohlen werden, sich für den Ausgleich von unvermeidbaren Emissionen an erfahrene Anbieter am Markt zu wenden und über gängige, anerkannte Zertifizierungsstandards ihre Klimaneutralität zu erzielen. Kostenfreie Service- und Informationsangebote der Regierung, IHKs und Partnerorganisationen rund um das Thema Klimaschutz und -neutralstellung unterstützen dabei und werden fortlaufend angepasst und ausgebaut.

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